Wer mehr lesen möchte findet hier einen Text von Kirsten Niemann von 2005. Natürlich hat sich vieles inzwischen geändert, gleichwohl ist es schön beschrieben.
Alles aus Glas
Die Berliner Glasdesignerin Wiebke Vogt bewegt sich zwischen Kunst und Kunsthandwerk – und findet das gut so. Text: Kirsten Niemann 2005
Ein paar Passanten bleiben stehen, legen schützend die Hände ans Gesicht und an die Fensterscheibe des alten Berliner Ladens. In einem Viertel wie diesem ist so ein Schaufenster eher selten. Hier wohnen Studenten und Senioren, Arbeitslose, Intellektuelle, moslemische Einwanderer und junge Familien nebeneinander. Die umliegenden Geschäfte führen Backwaren, Obst, Gemüse und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Aber Kunst?
Wiebke Vogt hat ihre Werkstatt für das Publikum heute geschlossen. Überhaupt öffnet sie nur selten. Denn die Glasdesignerin kommt weniger zum Verkaufen als zum Arbeiten her. „Ich bekomme viel Resonanz auf das Schaufenster.“ Also wird alle paar Wochen umdekoriert. Auch wenn die Werkstatt nicht wie ein Ladengeschäft mit Laufkundschaft funktioniert, verfolgt die Nachbarschaft, was hier passiert.
In den Regalen stehen Gläser. Große und kleine, schwere und dünnwandige. Darunter Taufgläser, verzierte Wassergläser, Weingläser mit hauchzarten Fischmotiven. Es sind Gläser, aus denen man trinken kann. Gläser, in die man kleine Gegenstände legt und welche, die am schönsten aussehen, wenn sie leer bleiben. Behältnisse wie Skulpturen. Schalen, die innen mit einem edlen Metall verkleidet sind, vorzugsweise mit Gold oder Platin. Zylindrische Körper, schimmernde Halbkugeln. Sakral anmutende Schalen. „Gefäße der Stille“ – so nennt die Designerin diese Objekte.
Zu diesen Gläsern hat Wiebke Vogt einen Text verfasst. „Alles atmet Stille, Einfachheit und eine Art schlichter Prächtigkeit“, heißt es da recht treffend. Vogt spricht von der Mystik uralter Räume, von einer „Patina aus Noblesse und Zeitlosigkeit“. Es sind Versuche, ihre Arbeiten fühlbar zu machen. „Es gibt ein große Zahl von Menschen, die haben diesen ganzen Markenindividualismus satt“, sagt sie, „doch fehlt ihnen oft die Sachkenntnis selbst zu beurteilen was gut ist. Wenn ich schreibe, eröffne ich einen eigenen Bezug zu den Objekten.“
So ist es halt, wenn man Kunst macht. „Die Kunst ist ein unfreiwilliger Beruf“, sagt sie, „man kann ihn nicht wählen, es geht eher darum, wie man ihn verwirklicht.“ So wurde die künstlerische Seite in ihrer Arbeit im Laufe der Jahre – im Vergleich zum Handwerk – immer stärker. Dabei wollte die heute 50Jährige ursprünglich Chemikerin werden. Doch nach einem eher freudlosen Studium wagte sie mit 27 Jahren einen beruflichen Neuanfang. Ein Interesse an Kunst sei in ihrer Familie schon immer vorhanden gewesen, erklärt Vogt. „Doch tatsächlich gemacht haben es andere.“
Ein Gefühl für Farben habe sie gehabt – und zunächst an Modedesign gedacht. Doch warum eigentlich nicht Glas? Es gab nur wenig Konkurrenz. Also arbeitete sie nach ihrer Ausbildung an der Glasfachschule in Zwiesel als Hausdesignerin für die Industrie in Bayern und der Schweiz. Doch irgendwann hatte die gebürtige Norddeutsche vom Landleben genug.
Seit 1988 produziert Wiebke Vogt in dem Charlottenburger Geschäft, dessen Fläche dreissig Quadratmeter misst. Die Entscheidung, sich mit ihren Glasobjekten an einen Ort zu binden, war ihr nicht leicht gefallen. „Zuerst hatte ich das Gefühl, als seien meine Füsse einbetoniert, doch es erwies sich als Sprungbrett. “, erzählt sie. Sie kam zur Ruhe und wurde produktiv. Es folgten Ausstellungen in verschiedenen europäischen und außereuropäischen Ländern wie Japan und USA. Sie räumte Preise ab bei Wettbewerben im Bereich der angewandten und zeitgenössischen Kunst. Vogts Objekte finden sich heute in Kunstsammlungen und Museen zwischen Österreich und Dänemark. „Die Wahrnehmung von angewandter Kunst wandelt sich gerade sehr“, sagt Vogt, „sie findet immer mehr Beachtung.“
Nach wie vor produziert die Glasdesignerin neben freien Objekten Auftragsarbeiten. In einem Regal stehen Gläser für Kunden: Sektkelche mit sandgestrahlten Golfbällen, Espressogläser mit dekorativen Tiermotiven. „Kunst und Kunsthandwerk – beides zu machen ist für mich eine grosse Freiheit“, sagt Vogt.
Manchmal sind die Grenzen zwischen gutem Design und Kunst ohnehin fließend. Wenn es um die Schönheit der Dinge geht. Die Idee sollte immer den gestalterischen Aufwand bestimmen. Wiebke Vogt erzählt von einer Kundenfrage: „Es sind ja alles sehr schöne Gläser. Was ist aber, wenn man keinen Alkohol trinkt?“ Wiebke Vogt holt ein Wasserglas aus dem Regal. Schlicht, leicht und von schlanker Form ist das Gefäß. Ein normales Wasserglas eben, allein ein goldener Boden liegt unsichtbar am Grund. Vogt füllt einen Schluck Wasser hinein – und plötzlich entfaltet sich die Schönheit des Getränks. Es ist wie ein Leuchten von innen heraus, das das Gold nach außen reflektiert.